Ich hab noch einen Artikel in der Mottenkiste gefunden und dachte, dass ich den, mittlerweile knapp fünf Monate nach meinem Auslandsaufenthalt, mal „publizieren“ könnte.
Ich habe absolut keine Ahung, warum ich das nicht schon vorher getan habe, aber sei es drum.
Was fährt einen Pick-Up, trinkt selbstgebrannten Schnaps und guckt leidenschaftlich gerne Football? Ein Redneck. Und was macht ein Redneck, wenn er mal nicht fährt, trinkt oder guckt? Natürlich, wie jeder gute Amerikaner, kauft er ein. Und wo macht er das? Bei Walmart natürlich.
Zig Bücher, zig Filme und wahrscheinlich sogar zig Dokumentationen wurden über die Redneck-Kultur geschrieben, nicht nur hier in Amerika. Um etwas aber kennen zu lernen, muss man es gesehen haben, muss in den natürlichen Lebensraum eingedrungen sein und beobachten, beobachten, beobachten. Und nirgends, mal abgesehen von einer Football-Kneipe (in der man nur die Männer sieht), kann man das besser als bei Walmart.
Wie Motten um das Licht schwirren Rednecks und solche, die es werden wollen, um die großen blauen Buchstaben am Superstore hier in Charlottesville. Hast du keinen V8, bist du out. Hast du nen V6 Pick-Up oder Jeep, okay, dann darfst du bleiben.
Gestern abend waren Martin und ich auf großer Shopping-Tour, denn es galt Dekoartikel für die Christiane’s Geburtstag/mein Wiederkommen-Party zu kaufen. Schön amerikanisch sollten sie sein, am besten mit Stars & Stripes, wie es sich für eine gute USA-Motto-Party gehört.
Nachdem Kroeger (Lebensmittelmarkt) und Target (wie Walmart, nur besser) kläglich auf der Patriotismus-Skala versagt hatten, war Walmart die letzte Anlaufstation.
Und das es Samstag abend war, und Samstag abend DER Einkaufstag schlechthin ist, waren entsprechend viele Leute noch gegen 22 Uhr im Laden. Und da sah ich sie dann, die absolut durchschnittliche Redneck-Familie.
Vater: NASCAR T-Shirt und Kappe, Blue Jeans und kariertes Holzfällerhemd, dazu Turnschuhe, nicht zu vergessen die unnachahmliche Frisur (bei uns als Vokuhila bekannt), Handy mit Gürtelclip
Mutter: übergewichtig, Legings in pink, langes T-Shirt mit Mickey Mouse Applikation, weiße Turnschuhe und Pferdeschwanz, außerdem das Handy an einem Band um den Hals hängen
Sohn 1: Lederjacke (mit Footballvereinssymbol hinten drauf), Jeans und ausgewaschenes T-Shirt, Haare kurz rasiert, Handy mit Gürtelclip
Sohn 2: Holzfällerhemd, T-Shirt mit Bierwerbung, Kappe und Jeans, und nicht zu vergessen: Handy mit Gürtelclip
Tochter: ein Bild für die Götter, denn eine 1:1-Kopie ihrer Mutter, nur statt Mickey Mouse ein gestrasstes Herz
Besser hätte ich es mir nicht wünschen können, eine Redneck-Familie, wie sie im Buche steht. Da Martin nach UVa-Klamotten suchte, hatte ich ein paar Minuten Zeit und schlich mich heran, um die Familie in freier Wildbahn beim Jagen zu beobachten.
Schnell zerstreuten sie sich, um es mir schwerer zu machen. Vater mit Sohn 1 in Richtung Technik-Abteilung, Mutter mit Sohn 2 zu den Klamotten und Tochter in Richtung Schuhe. Sohn 1 direkt an die X-Box und losgezockt, Vater sich ein bißchen mit Digitalkameras aufgehalten, dann aber die DVDs unter die Lupe genommen. Mutter mit Sohn 2 war ziemlich schnell zurück, es sah nach Neueinkleidung aus: es gab Jeans, weiße T-Shirts und zwei karierte Hemden – schick. Tochter kam mit abgrundtief hässlichen Turnschuhen zurück. Schien aber keinem Familienmitglied aufgefallen zu sein; und ich wollte nichts sagen, da ich ja nur Beobachter war.
Mutter fauchte Sohn 1 an, dass er sich gefälligst von der „scheiß“ Konsole fern halten sollte, Vater lachte leise und wurde dann auch angeschissen. Somit waren zwei Männer ruhig gestellt und trotteten beleidigt hinter Mutter, Tochter und Sohn 1 (ich denke: Lieblingssohn der Mutter) her.
Nächste Station war die Möbelabteilung (ja, das gibt es im Walmart, aber nur Kleinmöbel). Ein neuer Couchtisch sollte es sein und Mutter hatte schnell einen gefunden. Ab in den Wagen damit. Sohn 1 schurfte weiter zu den Auto-Artikeln und suchte wahrscheinlich nach einem neuen Luftfilter für seinen (wahlweise) Dodge Ram oder Ford F-150 Pick-Up. Sohn 2 klebte bei Mutter, Tochter langweilte sich nach Schuh-Drama zusehend und Vater hatte nachdem Couchtisch genug gesehen; er wanderte ab in Richtung Ausgang. Dort würde er noch geschlagene 20 Minuten warten müssen.
Danach verlor ich die Truppe aus den Augen und suchte mit Martin nach USA-Patriotismus-Artikeln. Nachdem ich nur eine USA-Flagge (nur noch mit elf anstatt 13 Streifen, da Meterware) für 64 Cent ergattert hatte, war ich kurz davor aufzugeben, denn wir näherten langsam, aber sicher der Kasse. Dann das Paradies zu unserer Rechten:
Vor uns tat sich ein Meer aus rot, weiß und blau auf. Hier war alles vertreten: Becher, Teller, Servietten, Ketten und Tischdecken in Flaggen-Optik. Außerdem noch kleine Fahnen, große Fahnen, riesige Fahnen, Mini-Fahnen und Auto-Fahnen. So konnte ich den gesamten Einkauf in einem Rutsch erledigen.
An der Kasse stießen wir dann wieder auf die Familie und ich traute meinen Augen nicht. Der vor 20 Minuten leere Einkaufswagen (von ein paar T-Shirts, einem Paar Schuhe und einem Couch-Tisch mal abgesehen) war prall gefüllt und wäre das Ding nicht aus Metall, sondern Holz gewesen, ich glaube, es wäre geborsten. Da ich schon bezahlt hatte, sagte ich der Familie (im Stillen) Lebwohl und nahm beim Amerika-Merchandise mit zum Jeep.
Und da stand er neben uns, ein mächtiger 3500 Dodge Ram mit Doppelkabine, Doppelauspuff und Doppelhinterreifen. Schick in schwarz und komplett mit (leerem) Gunrack hintendrin. Für alle, die nicht wissen, was ein Gunrack ist, hier ein Bild.
Das musste das Auto sein. Ich werde es nie erfahren, denn wir waren weg, bevor Familie Redneck den Laden verließ. Schade, ich hätte sie sonst verfolgen können und hätte live mitbekommen, wie Rednecks einen Walmart-Couchtisch zusammenbauen. Spannend!