Na super, das Entertainment System hier im Flieger scheint nicht zu funktionieren. Die müssen, der Durchsage des Kapitäns nach, das System neu starten – hört sich ganz nach Microsoft Windows an. Aber dafür bleibt mir dann etwas Zeit, um die letzten vier Monate Revue passieren zu lassen.
Eigentlich muss ich die letzten zwölf Monate in meinen Rückblick integrieren, denn ungefähr um diese Zeit vor einem Jahr bekam ich den Bescheid, dass ich für ein Semester an die University of Virginia gehen durfte. Danach verliefen die Monate wie bei jedem Austauschstudenten: Flug buchen, Wohnheimplatz organisieren, Pass erneuern, Visum abholen und los fliegen. Was sich in Retrospektive so einfach anhört, war an sich ganz schön anstrengend, vor allem weil einem immer wieder die immense Bürokratie (auf deutscher, als auch amerikanischer Seite) in die Quere kam.
Außerdem möchte ich an dieser Stelle auch nicht außer Acht lassen, dass meine Freundin Christiane in dieser Zeit mitleiden musste. Zum einen durch den Druck, unter den ich mich gesetzt fühlte, zum anderen natürlich bedingt durch die nicht sehr rosige Aussicht, knapp vier Monate getrennt zu sein – ein Gedanke, an den wir uns beide gewöhnen mussten.
Express-Pass und Visum
Im Februar buchte ich meinen Flug nach Washington, dann verstrich viel Zeit bevor ich mich bequemte einen neuen Reisepass zu beantragen. Im Endeffekt musste ich sogar eine Extragebühr bezahlen, damit mein Pass noch rechtzeitig für den Visumstermin ankam. Im Juni bewarb ich mich dann für einen Visumstermin in Frankfurt, der auf Ende Juli angesetzt war. Unglaublich ist für mich immer noch, wie viele Dokumente ich ausfüllen und/oder mitbringen musste. Anfang August hielt ich dann meinen Pass mitsamt Visum in den Händen. Nachdem der Auszug aus meiner alten Wohnung und die „Verschiffung“ meiner Klamotten in mein altes Zimmer bei meinen Eltern über die Bühne gebracht war, begann die Zeit, die ich als die Zeit „der letzten Ereignisse“ beschreiben würde.
So Ereignisse liefen dann ungefähr so an: „Mein letztes Training, bevor ich fliege“, oder „Unsere letzte gemeinsame Nacht, bevor ich fliege“ – wobei jetzt nicht der Anschein erweckt werden soll, dass beide Ereignisse gleichbedeutend traurig waren, dass waren sie nämlich definitiv nicht.
Abflug
Am 17. August ging es dann los. Christiane brachte mich zu Flughafen, selbstverständlich, jedoch nicht ganz unschmerzhaft. Trennungen sind scheiße, aber Trennungen an Flughäfen sind mitunter die schlimmste Erfahrung für ein Paar. Aber ich denke, dass wir die Zeit gut hinter uns (und nicht zwischen uns) gebracht haben; und das gibt sehr, sehr große Hoffnung für die Zukunft. Diese Zukunft ist es dann auch, die mir half heute Morgen aus Charlottesville aufzubrechen. Als ich während meiner Schulzeit für einige Zeit an einer amerikanischen high school war, gestaltete sich das „Nach-hause-kommen“ nicht ganz so freudig, soweit ich mich erinnere.
Jetzt komme ich aber mit Freude und Liebe in meinem Herzen nach Hause und ich freue mich sehr diese Zeit in den USA verbracht zu haben. Nicht mehr und nicht weniger. Freude überwiegt insgesamt, nicht Wehmut. Ich freue mich, diese Erfahrung (vor allem, wie es sich für ein Auslandssemester gehört) akademisch gemacht zu haben, ich würde sie, gerade aufgrund der hervorragenden Bildungsanstalt, die ich besuchen durfte, nicht missen wollen.
Von Düsseldorf ging es dann unter massiven Sicherheitskontrollen (eine Woche vor meinem Abflug hatte der britische Geheimdienst eine Gruppe festgenommen, die höchstwahrscheinlich eine ganze Reihe Flugzeuge in die Luft sprengen wollten) nach Washington. Glücklicherweise wurden die Bestimmungen für das Handgepäck einen Tag vor meinem Abflug gelockert, was es mir erlaubte, meinen Laptop mit in den Flieger zu nehmen und den Blogeintrag ziemlich aktuell zu schreiben, ungefähr genau so aktuell wie dieser hier.
Eingewöhnungszeit in Charlottesville
Mit dem Mietwagen ging es dann von Washington in das beschauliche Charlottesville, wo ich die erste Nacht bei Sebastian, einem weiteren Austauschstudenten aus Dortmund, verbrachte. Nachdem ich mein Zimmer in einem der Wohnheime bezogen hatte ging der Uni-Alltag ziemlich schnell los. Es dauerte ein bisschen, bis ich mich an das Tempo in den Vorlesungen (und ja, auch an die Sprache) gewöhnt hatte, aber dann lief alles ziemlich glatt. Meine anfänglichen Schwierigkeiten spiegelten sich auch in meinen Noten wieder. Außer in meiner „German in Translation“-Klasse prangten überall Cs (befriedigend) auf meinen Papern und Tests. Dann ließ ich mir von einem Kommilitonen erklären, was die Profs und Dozenten sehen und hören wollten und schon ging es rapide nach oben mit den Leistungen. In den Midterms schnitt ich durchweg gut bis sehr gut ab. Sehr verwundert war ich über das (bei uns nur aus der Schule bekannte) System der Gesamtnote. In den meisten Kursen flossen (bzw. fließen, da ich die Endnoten noch nicht habe) ein Test, eine Midterm-Klausur, ein Paper, die mündliche Leistung und das Final Exam in die Bewertung mit ein – woraus sich die Notwenigkeit ergab, konstant zu lernen. Nicht gerade stressfrei, aber es lohnt sich.
Kurz vor den Midterms (im November) besuchte mich dann meine Christiane und wir verbrachten unsere kostbare Zeit zusammen in Washington, am Meer, in Charlottesville und in New York. Ich bin dankbar für jede Minute dieser Zeit, denn ohne den Christianes Besuch hier wäre die Zeit schwerer gewesen. Nachdem ich sie dann Ende November zum Flughafen gebracht hatte, wusste ich, dass es nur noch knapp drei Wochen bis zum meinem eigenen Rückflug waren – eine durchaus überschaubare Zeit, aber auch eine der anstrengendsten Zeiten, die ich bis jetzt in meinem Leben erlebt habe.
Stress pur in der Prüfungsphase
Es ist alles wahr, was man von den Elitecolleges in Amerika hört, okay, ab und zu etwas zugespitzt geschrieben, aber deshalb nicht weniger wahr. Amerikanische Studenten müssen in vier Jahren fertig sein mit ihrem Studium. Zum einen weil (im Falle der University of Virginia) sie sonst „gegangen werden“, wenn sie keinen guten Grund für ein fünftes Jahr vorweisen können, zum anderen weil jedes Jahr an so einer Uni die Eltern der Studenten immer weiter dem finanziellen Ruin näher bringt. Schätzungsweise 30.000 Dollar (ca. 22.500 Euro) kostet ein Jahr an der UVa – ein Fakt, dem sich die Studenten hier meist sehr bewusst sind. Von daher arbeiten die meisten Tag und Nacht (vor allem in der unmittelbaren Zeit vor Klausuren), um ihre Prüfungen/Kurse zu bestehen, am besten noch sehr gut zu bestehen. Denn wenn man schlechter als ein C- ist kann man den Anspruch auf einen Platz im neuen Jahr verlieren. Ein Kommilitone von mir zog für eine Woche vor den Midterms in die Bibliothek. Das ist jetzt nicht bildlich, sondern wörtlich, gemeint. Er packte eine Sporttasche und sein Bettzeug und lebte in der Bibliothek, um länger und intensiver lernen zu können.
Das war mir dann doch zuviel des Guten, außerdem war ich einfach zu festgefahren in meiner deutschen Uni-Gewohnheit, um mich so sehr rein zu knien. Die Klausuren bestand ich zwar (bei den Finals weiß ich es noch nicht, bin aber zuversichtlich), bei den Papers (der Art von Prüfung, die ich von zuhause gewöhnt bin) konnte ich hingegen voll überzeugen. Hier bekam ich meine besten Noten.
Neben all dem universitären Kram blieb ziemlich wenig Zeit um anderen Aktivitäten nachzugehen. Ich war auf erschreckend wenigen Partys und war (ich bin geneigt, wieder erschreckend zu benutzen) selten betrunken. Die meiste Zeit verbrachte ich in der Uni, vor meinem Rechner oder mit Martin beim einkaufen, trainieren oder Auto fahren. Hört sich jetzt nicht sehr spannend an, aber irgendwie hat es dazu beigetragen (zusammen mit den seltenen Partys) die Zeit sehr schnell rum gehen zu lassen.
Die andere Kraft, die mir half, „in guten wie in schlechten Tagen“ nicht den Kopf hängen zu lassen, war mein Schatz.
Angekommen in London
Jetzt haben wir einen mächtigen Zeitsprung gemacht. Ich konnte knapp drei Stunden schlafen, den Rest hab ich dann doch noch mit dem On-board Entertainment System verbringen können, was nach zig Neustarts endlich funktionierte. Mittlerweile bin ich im internationalen Terminal in London/Heathrow und hab nur kurz Zeit, weil die Einreisekontrolle noch viel massiver ist, als die Ausreisekontrolle in den USA – und das obwohl man nur von einem Flug zum nächsten transferiert. Außerdem durfte man nach England zwei Taschen mit an Bord nehmen, von England in irgendein anderes Land aber nur eine. Also muss ich jetzt alles in der Hand tragen und meine Laptoptasche in meinen kleinen Koffer quetschen. So und jetzt muss ich rennen, weil ich verpeilt habe, dass mein Flug schon auf der Anzeigetafel steht.
So, mehr Beinfreiheit und Ledersitze, so muss das sein. Deshalb mag ich Kurzstrecke lieber als Langstrecke, irgendwie sind die eher Businessman-orientiert. Nicht das ich ein Businessman wäre, aber irgendwie fühlt man sich in solchen Fliegern immer so an. In knapp zwei Stunden bin ich dann endlich wieder in der Heimat. Wenn ich nicht so kaputt wäre, würde ich mich noch mehr freuen.
Charlottesville ist keine große Stadt und bietet von daher auch keine tollen Ausgehmöglichkeiten. Wenn man zum studieren da ist, kommt einem das aber sehr entgegen. Die Amerikaner stehen lieber in Kneipen rum und unterhalten sich, während sie unaufhaltsam Liter um Liter in sich hinein kippen – in Charlottesville ist um zwei Uhr morgens Sperrstunde, bis dahin will man ja schön besoffen sein. Die Kneipenlandschaft ist aber an sich sehr gut, für jeden ist irgendwie was dabei, vom Irish Pub bis hin zur typisch-amerikanischen Pool-Bar – mit Pool meine ich das Spiel mit den Kugeln, nicht den Behälter mit Wasser drin.
Leben im Wohnheim
Wenn man wie ich nur ein Semester ins Ausland geht, ist ein Wohnheimplatz die besten Idee. Ich hab ein paar nette Leute dort kennen gelernt, auch wenn die meisten viel jünger waren als ich, da man meist nur in seinem ersten Jahr an der Uni im „Dorm“ wohnt und sich dann mit Freunden zu einer Off-Campus-WG zusammenschließt. Außerdem hat man dort alles direkt vor Ort, die eigene Klimaanlage, ein Kühlschrank und eine Mikrowelle, Internetanschluss und eine Küche, für die man sich aber selbst mit Töpfen und Pfannen ausstatten muss. Aber dafür gibt es ja die Dining Hall, die morgens, mittags und abends geöffnet ist und neben Fast Food ab und zu sehr leckere Sachen zu bieten hatte. Manchmal dann auch wieder nicht so Leckeres, näheres dazu kann man von Christiane erfahren.
Der letzte Flug
Nach vier Monaten geht mit dem heutigen Morgen mein Abenteuer Auslandssemester zu Ende. Ob ich traurig bin? Nein, bis jetzt zumindest noch nicht. Ich habe kein „Heimweh“ und auch das weinende Auge (das ich aufgrund oben genannter Faktoren hatte, ist vollständig getrocknet, die letzte Träne weggewischt. Das liegt zu einem sehr, sehr, sehr großen Teil daran, dass akademische Elite schön und gut ist, aber Liebe kann selbst eine Top-Uni nicht ersetzen. Und die ist nun mal in Dortmund und nicht Charlottesville.
Und deshalb schnalle ich mich jetzt an und hoffe, dass der Pilot seinen Job gut macht und ich in einer Stunde und 15 Minuten sicher in Düsseldorf ankomme. Hach und dann is auch scho’ Weihnachten – wie die Zeit vergeht.